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Der Wolf und das Lamm (Jean de la Fontaine)

Der Wolf und das Lamm

Das Recht des Stärkern ist am meisten wert.

Hört, wie es diese Fabel lehrt.

Ein Lämmchen löschte in der Flut

Des klaren Quells des Durstes Glut.

Da lag - o böses Ungemach! -

Ein Räuber an demselben Bach,

Ein wilder Wolf, mit leerem Bauch.

Der rief voll Gier und Wut:

„Wer lehrte dich so kühnen Brauch,

Zu trüben meinen Trank?

Wer Frevel treibt, der sühnt es auch!"

Das Lämmchen zitterte und sank

Demütig in die Knie.

„Sire,« sprach es, „Sire, bedenken Sie,

Dass ich weit unterhalb von Ihrem Platze trank,

Und da die Wellen talwärts gehn,

Blieb dort, wo Eure Majestät geruhn zu stehn,

Das Wasser ungetrübt und blank."

 

„Du trübst es doch!" rief streng das wilde Tier.

„Auch weiß ich, dass vor Jahresfrist du mir

Viel Übles nachgeredet hast." - „Vor einem Jahr?"

Entgegnete das Lamm, „eh ich geboren war?

Ich trink noch heute an der Mutter, Sire!"

„So war's ein Bruder denn von dir."

„Ich habe keinen." - »Nun, so war's aus deinem Bunde

Ein andrer - wie ihr immer schimpflich von mir denkt,

Ihr, eure Hirten, eure Hunde.

Man sagte mir's. Und weil ihr mich gekränkt,

Ihr, die ihr sämtlich Bösewichter,

So muß ich Rache üben alsobald."

Er griff das Lamm und schleppte es zum Wald

Und fraß es - ohne Recht und Richter.

Jean de la Fontaine (1621-1695)

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