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Lehrjahre sind keine Herrenjahre - Virtuelles Interview mit einem Ritter

Was heute bei Ritterturnieren mit viel Aufwand als Abenteuerurlaub inszeniert wird, war für den angehenden Ritter Alltag. Wir unterhalten uns mit Ritter Arnoul aus Calais über Kindheit, Jugend und Alter, das Reisen, die Frauen und das Jüngste Gericht.

Arnoul lebte im 12. Jahrhundert. Er wurde erzogen, wie es zu seiner Zeit für einen kleinen adeligen Jungen üblich war. Im Alter von acht Jahren wurde er aus dem Haus gegeben und auf dem Hof des Mannes, dem sein Vater den Treueeid geschworen hatte, zum Ritter erzogen.

Dass wir seine Bekanntschaft machen dürfen, verdanken wir dem berühmtesten Professor für mittelalterliche Geschichte Frankreichs, Georges Duby. Seine Geschichten und Anekdoten aus dem Mittelalter, gewürzt mit ein wenig Phantasie, bieten eine Fülle von Details aus dem Leben der alten Rittersleut.

Arnoul, in welchem Jahr sind Sie geboren?

Sie stellen Fragen! Bei uns im 12. Jahrhundert gab es nur wenige Menschen, die ihr Geburtsjahr kannten. Vielleicht war das besser so.


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Alt seid ihr ja meist nicht geworden.

Ich wurde ungefähr 62 Jahre alt, das war damals ein hohes Alter. Die Hälfte der Bevölkerung bei uns war unter 21, ein Drittel unter 14. Ich hatte einfach Glück. Als ich acht Jahre alt was, kam ich zu einem noblen Herrn, der mir erst einmal die Hammelbeine lang zog.

Viele Streicheleinheiten - so nennt ihr das heute wohl - gab es während meiner Ausbildung nicht. Anfangs saß ich beim Essen ganz am Ende der Tafel, weit weg von meinem Herrn, und schlief des Nachts am Fußende seines Bettes.

Aber mich dünkt, so anders als die Kinder heute war ich auch nicht. Ich spielte liebend gern Mikado, tobte mit den anderen Knaben auf der Wippe und spielte Turnier mit kleinen Rittern aus Holz.

Was hatten Sie als Knappe zu tun?

Erst war ich Page, mit 14 wurde ich Knappe, wie jeder andere Zögling. Vermutlich weil ich so kräftig gebaut war, durfte ich immer das ganze Zeugs meines Herrn schleppen, vor allem den Schild. Als Schildknappe bekam ich auch das widerborstigste Pferd von allen.

Vor Publikum musste ich dann zeigen, dass ich es bändigen kann. Das reinste Rodeo war das. Mein bester Freund verlor dabei ein Auge.

Wenn ich sonst nichts zu tun hatte, musste ich das Schwert meines Herrn putzen und polieren. Sein Schwert war sein Augapfel. Er hatte ihm sogar einen Namen gegeben, wie Artus, dessen Schwert Excalibur hieß, wie Sie wissen.


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War es nicht erniedrigend, einem Herrn zu dienen wie ein Unfreier? Immerhin kamt Ihr aus gutem Hause.

Aber nein. Der Herr brachte mir das Nötige bei: Reiten, die Jagd auf Wildschwein, Fuchs und Hirschkuh, das Bogenschießen, aber auch Schach. Tanzen, Musizieren und ein wenig Lesen und Schreiben. Und dass man nicht mit dem Messer in den Zähnen stochert.

Ich lernte, eine schwingende Strohpuppe mit der Lanze aufzuspießen, das Schwert zu handhaben, Wappen zu erkennen, das Schlachtross des Herrn zu führen, ein Pferd richtig zu füttern, Zaumzeug zu flicken. Ich spielte auch Kurier und steckte meine Nase in Geometrie, Recht und Rhetorik.

Tolle Abenteuer habe ich erlebt. Wälder und Sümpfe gab es bei uns, davon habt ihr keine Ahnung. Ich lernte, mich im Wald zurechtzufinden, ohne Dieben und Wegelagerern oder, schlimmer noch, Bären, Wölfen und Drachen ...

Wirklich, Arnoul. Woran Ihr so geglaubt habt!

... wie gesagt, Drachen in die Hände zu fallen. Die Frauen bekamen mehr trockenes Bücherwissen mit. Aber die hatten ja auch nichts Besseres zu tun.

Wie haben Sie sich weitergebildet?

Zeitungen, Fernsehen, Fax und euer neues Wunderdings da, Internet, hatten wir natürlich nicht. Aber wir Ritter sind viel herumgekommen. Von Pilgern, Priestern, Kaufleuten, Kreuzfahrern erfuhr man alles, auch wenn es Monate dauerte. Manchmal kam ein fahrender Sänger auf die Burg und las vor.

Die Geschichten handelten meist von der Treue, Tapferkeit und Besonnenheit eines Helden wie Roland und Iwein, aber auch von der Liebe. Mein Herr hörte stundenlang zu und wiederholte die Verse.


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Was war der schönste Tag Ihres Lebens?

Das war Pfingsten, der 24. Mai 1181. An Pfingsten fanden die Ritterweihen statt, Schwertleite nannten wir das. Mein Herr hat mir ein Pferd, funkelnagelneue Sporen, ein kostbares Schwert und einen Umhang anfertigen lassen, dafür bin ich ihm ewig dankbar.

Die Weihe übernahm mein richtiger Vater, der Graf Baudoin. Am Vorabend musste ich baden, mich von meinen Sünden reinwaschen und die ganze Nacht in der Kapelle beten und bereuen, das war nicht so toll.

Am nächsten Tag erhielt ich mein Schwert mit Gottes Segen. Ich versprach, mein Leben lang Gott zu dienen und die Schwachen zu beschützen. Der Ritterschlag selbst, das war ein Schlag mit der flachen Hand auf den Hals. Tut weh, aber da muss man durch. Mein Vater überreichte mir feierlich Schwert und Sporen.

Dann gab es ein Festmahl. Und schon vier Tage später nahm ich als frisch gebackener Ritter die Burg meines Vaters in Besitz. Aber da war absolut nichts los. Also blieb ich nicht lange dort, sondern zog von Turnier zu Turnier, von Kampf zu Kampf. Manchmal fürchtete ich um mein Seelenheil. Aber so war das Leben.

Frühen Tod, Krieg und Pest, das habt Ihr klaglos hingenommen?

Wir glaubten an Paradies und Hölle. Der Garten Eden war sogar auf unseren Weltkarten eingezeichnet. Ich weiß, wie sehr euch das belustigt, denn wir kannten ja die Welt noch gar nicht. Wie das Jüngste Gericht sein würde, das zeigten uns die Steinmetze auf Kirchenportalen und Kapitellen. Mit Dämonen, die uns verschlingen, uns vierteilen und in heißem Öl sieden.

Oh nein! Wir haben weder Kosten noch Mühen gescheut, unser Seelenheil zu retten. Jeder halbwegs begüterte Lehnsherr ließ sich eine Kapelle bauen. Ich war ja nicht sehr fromm, wie Sie wissen. Aber ich ging oft zur Beichte.

Wer Kreuzfahrer wurde, der war sowieso aus allem raus. War die reinste Sündenwäscherei. Viele von uns Rittern traten übrigens in ihren letzten Jahren in ein Kloster ein. Nur da hatte man Ruhe.

Wie seid Ihr gereist?

Hoch zu Ross natürlich. Pilger gingen zu Fuß. Für unsereins kam eine Fahrt in einem Karren nicht in Frage. Das verstieß gegen die Etikette. Nur Damen fuhren in vierrädrigen Planwagen, die sollten es ja bequem haben.

Ach ja, eure Frauen! Wie waren die denn so?

Als ich klein war, waren immer Frauen um mich herum, Schwestern, Ammen, die mir Lesen und Schreiben beibrachten, mir den Nachttrunk zubereiteten, Gewürzwein ansetzten, aber sonst hatten wir mit Mädchen keinen Kontakt. Die Jungfrauen waren zu Hause und lernten nützliche Sachen, zum Beispiel, wie man im Winter ein Feuer rauchfrei hält und wie man das Bett von Flöhen säubert.

Bescheiden waren sie. Nicht wie heute, wo sie - wie ich erstaunt bemerkte - mit unruhigen Blicken und nach vorne gestrecktem Kopf nach allen Seiten schauen, als suchten sie ein entflohenes Pferd. Als Jüngling verliebte ich mich in die dritte Gemahlin meines Herrn. Die vorherigen beiden waren im Kindbett gestorben.

Ich dichtete für sie viele zarte Verse. Und wenn ich im Turnier an ihr vorbeiritt, dann nickte sie mir huldvoll zu. Schließlich heiratete ich spät ein geeignetes Fräulein, das mein Herr für mich ausgesucht hatte. Der Minnedienst war da kein schlechtes Training. So fand mein Weib zumeist, ich sei ein leidlich angenehmer Mensch.

Quelle:
Mit freundlicher Genehmigung von:
http://www.ritterturnier.de
Ritterturnier Kaltenberg Veranstaltungs GmbH

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