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In den Augen des Kindes sehe ich nur noch Leere

Augenzeugenbericht einer SOS-Mitarbeiterin aus dem pakistanischen Erdbebengebiet

16.10.05 - Safia Awan, Vizepräsidentin der SOS-Kinderdörfer in Pakistan und Programmleiterin der SOS-Nothilfe, machte sich ein Bild vom Ausmaß der Erdbeben-Katastrophe in Kaschmir. Lies ihren Bericht aus der weitgehend zerstörten Stadt Muzaffarabad:

Der Geruch des Todes 

Abb Als der Helikopter zur Landung ansetzt, liegt ein unangenehm beißender Geruch in der Luft und ich habe einen seltsamen Geschmack im Mund. Es ist der Geruch und Geschmack des Todes.

Der Hubschrauber-Landeplatz befindet sich vor einem ehemaligen Verwaltungsgebäude, das jetzt vollständig in Trümmern liegt.

Ringsum sind Zelte aufgestellt, hunderte Soldaten sowie Verletzte sind hier untergebracht.

In kurzen Abständen von wenigen Minuten starten und landen Hubschrauber.




"Sie sollten sich das nicht ansehen"

Der Oberst, der den Nothilfe-Stützpunkt in Muzaffarabad leitet, will mich zunächst davon abhalten, die Basis zu verlassen. "Sie sollten sich das nicht ansehen", sagt er.

Ich erkläre ihm, dass ich in den letzten vier Jahren oft in der Stadt gewesen sei und hier auch den Grundstein für das SOS-Kinderdorf gelegt habe.

"Ich weiß“, antwortet er. "Ich war schon beim SOS-Kinderdorf - deswegen möchte ich nicht, dass Sie dort hingehen."

Doch ich lasse mich nicht zurückhalten, schließlich stellt uns der Oberst einen Jeep und einen Fahrer zur Verfügung. Wir fahren zum SOS-Kinderdorf. Die Straßen und Geschäfte der Stadt mit ihrem Gedränge und geschäftigen Treiben gibt es nicht mehr - wenige Sekunden haben alles in Trümmer gelegt, die nun die Grabsteine für tausende und abertausende Menschen sind.


 

Überall Leichen 

Abb Am Straßenrand liegen einige Autos, die unter riesigen Steinen und Geröll begraben sind. Ich bitte den Fahrer des Jeeps an einer Stelle anzuhalten, an der einige Soldaten mit einem Hebekran arbeiten.

Sie tragen Atemschutzmasken. Ich steige aus, um ein paar Fotos von den Arbeiten zu machen. Brechreiz überkommt mich.

Ich will in eine andere Richtung gehen, doch der Verwesungsgeruch wird immer stärker. Überall sind Leichen. Ich kann nicht mehr länger hinsehen.

Auf der Weiterfahrt versuche ich das Haus ausfindig zu machen, das wir für unsere Mitarbeiter gemietet hatten, als wir mit dem Bau des SOS-Kinderdorfes begonnen hatten.

Aber ich kann nicht einmal mehr die Straße erkennen. Nur noch Geröll und Schutt. Wir fahren am Krankenhaus vorbei - alles was ich sehen kann, sind Trümmer.


Nur noch Geröll und Schutt

Wir biegen in die Straße, die zum SOS-Kinderdorf führt. Gerade war das Dorf fertig gestellt worden, in diesen Tagen hätten die ersten Familien einziehen sollen. Wir stoppen beim Eingangstor.

Große Steinblöcke versperren den Eingang, sodass wir unter ihnen hindurch kriechen müssen. Die ehemals starken Stützmauern sind an einigen Stellen eingestürzt, die Teerdecke der Straße ist im Abstand von etwa fünfzehn Metern in Wellen aufgeworfen.

Mein erster Blick gilt der Schule. Die Eingangstreppe ist fast komplett eingestürzt und das Gebäude hat sich auf eine Seite geneigt. Aber dennoch ist es stehen geblieben - die anderen Schulen der Region sind alle eingestürzt.

Links sehe ich die Dächer von zwei Häusern, in denen unsere Nachbarn gelebt haben. Ich komme durcheinander und kann mich im Gelände kaum mehr orientieren. Ich versuche zu verstehen, was meine Augen wahrnehmen. Da ist das Verwaltungsgebäude des Kinderdorfes. Das Erdgeschoss ist noch da, aber was ist mit den beiden anderen Stockwerken passiert?

Ich bin erleichtert, dass die Familienhäuser noch stehen - zwar stark beschädigt, aber sie stehen noch. Sogar die zweistöckigen Gebäude machen noch einen stabilen Eindruck - baulich beschädigt aber stabil.

Wo sind all die Menschen geblieben? 

Abb Zurück im Nothilfe-Stützpunkt. Der Hubschrauber, der uns nach Muzaffarabad gebracht hat, ist gerade wieder am Landeplatz angekommen. Während unserer zweistündigen Erkundungstour ist der Pilot vier Einsätze geflogen.

Der Oberst empfängt mich mit den Worten: "Verstehen Sie jetzt, warum ich Sie nicht gehen lassen wollte?" Mir fehlen die Worte.

Dann besprechen wir, wie was wir tun können, um alle unbegleiteten Kinder und Frauen mit Kleinkindern aufnehmen zu können. Was ich fühle, kann ich nicht beschreiben.

Wir steigen in den Hubschrauber und heben ab. Ich versuche, mich während des Flugs zu orientieren, aber ich sehe nur eingestürzte Häuser und Dörfer voller Schutt und Zerstörung. Wo sind wir?

Und wo sind all die Menschen, die ich unter uns sehen müsste? Wie sind sie von hier weggekommen… die Straßen ringsum sind weggebrochen, wo sind die Leute bloß hin? Alles, was Menschen planen….alles was Menschen erschaffen….zerstört in Sekunden….alles weg....alle tot!!!



In den Augen des Jungen ist jedes Gefühl erloschen

Der Hubschrauber fliegt nun ein Gebiet an, in dem zwei Armee-Zelte stehen. Eine große Zahl von Menschen läuft auf den Helikopter zu. Männer, Frauen und Kinder, die ihre sterbenden Angehörigen in den Armen tragen.

Die Mannschaft nimmt fünf Menschen an Bord. Die anderen bleiben zurück, als sich der Hubschrauber in die Luft erhebt. Einer von ihnen ist ein Junge im Teenager-Alter, der einen sehr alten Mann auf seinen Schultern trägt.

Ich sehe in die Augen des Jungen - da ist nur Leere, komplette Leere. Sein Gesicht hat einen Ausdruck von Angst und Verzweiflung, aber in seinen Augen sind alle Gefühle erloschen. Andere haben verletzte Kinder im Arm und sehen nun zu, wie wir wegfliegen.

Wir landen im Stützpunkt in Muzaffarabad. Die Verletzten werden ausgeladen und der Hubschrauber startet erneut, um weitere Patienten zu holen.



Viele Verletzte müssen zurückbleiben

Danach fliegen wir nach Islamabad zurück. An Bord sind zwei verletze Kinder und zwei verletzte Frauen. Eine von ihnen hat kein Gefühl mehr in ihren Beinen und ist gelähmt.

Der Geruch des Todes mischt sich jetzt mit dem beißenden Geruch von Urin und Blut. Drei Verwandte der Verletzten sind mit dabei. Ich frage den Jugendlichen, der zu der gelähmten Frau gehört, was er mache.

Er sagt, er sei Student. Ich will ihm etwas Geld geben, aber er will es nicht annehmen. So stecke ich es ihm in seine Tasche.

Dann gebe ich den anderen Mitreisenden das übrige Geld, das ich bei mir habe. So weiß ich wenigstens, dass sie sich nun eine Woche lang mit Nahrungsmitteln versorgen können.


Spendenkonto für die Erdbebenopfer in Südasien:

SOS-Kinderdörfer weltweit
111 1 111 (siebenmal die Eins)
BLZ 700 700 10
Deutsche Bank München
Stichwort "Erdbeben Pakistan/Indien"

 

Quelle:
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